Clone Records: Italodisco aus Rotterdam – Interview mit Serge


Rotterdam ist die Underdog-Stadt Hollands. Hier gibt es Italodisco und proletarischen Ernst. Das Musikkollektiv um Clone baut stolz an dieser Tradition fort.

Holland und seine Netzwerke. Was Antal und Christiaan in Amsterdam mit ihrem Rushour-Plattenladen sind, dass ist in Rotterdam Serge mit seinem Clone-Recordstore. Auch hier ranken sich um den Laden zahlreiche Aktivitäten, vom gleichnamigen Vertrieb über das Clone Label zu den zahlreichen Sublabels wie Frustrated Funk, Frantic Flowers oder DUB. Das fruchtbare Konglomerat ist natürlich nicht allein auf seinem Mist gewachsen. Nein, eher schließt es eine Gruppe von Gleichgesinnten zusammen. Ortsansässige wie Alden Tyrell, die Duplex-Jungs, Orgue Electrique, aber auch Unit4 oder die finnischen Putsch ´79 bilden die Basis dieses Netzwerks, das eine Liebe zusammenhält: nämlich die zu Italo, Disco, Elektro, Techno und natürlich: Detroit.

Und tatsächlich ist der US-Bezug, also zu Detroit und Chicago, in Rotterdam nahezu omnipräsent. Genauso wie die Nachwehen der Italo-Vergangenheit der Stadt, die in den Achtzigern als Arbeiterstadt quasi Hollands kleine Italo-Disco-Metropole gewesen war. Deutlich hört man Italo beispielsweise aus Alden Tyrells Tracks raus, ebenso wie Detroit die Stücke von Duplex durchwuchert. Aber immer mit den technotypischen Konnotationen, nicht umsonst steht Amsterdam für House und Freestyle und Rotterdam für Techno und Elektro. Schließlich sind Viewlexx und Bunker nur einen Steinwurf von der Heimat des Clone-Netzwerks entfernt: schönen Gruß auch an I-F und Legowelt.

Rotterdams Städteplaner haben sich anscheinend die größte Mühe gegeben, diese Unterschiede baulich zu verewigen, als sie die Flächen neu bebauten, die deutsche Bomben im zweiten Weltkrieg zerstört hatten. Sie schufen so was wie Hollands kleines Windy-City-Habitat: Denn steigt man aus dem Zug, steht man erst mal zwischen glänzenden Hochhausfassaden und wundert sich über die großen Plätze und breiten Straßen, so was ist man aus dem verwurschtelten Amsterdam nicht gewöhnt. Der Seewind pfeift um die Ecken, zehn Minuten dauert es von der Central Station bis zu Serges Plattenladen. Weil es in Holland grundsätzlich überallhin nur zehn Minuten dauert, egal wohin, es ist nie weit. Außer von Amsterdam nach Rotterdam, das dauert eine Stunde. Etwas über zehn Jahre dauerte es, bis Clone zu dem wurde, was es heute ist. Damals war es Serge, der den Laden eröffnete und damit die Keimzelle schuf für einen bis heute wachsenden Vertrieb samt eingangs erwähnter Künstlerriege und dem erfolgreichen Clone Label.

Serge

Wie es dazu kam? Die klassische Selbstläufergeschichte eben. Also das, was passiert, wenn sich jemand ernsthaft und mit dem nötigen Geschick einer Sache annimmt. Zumindest hat es diesen Anschein, je länger ich Serge zuhöre. Wir sitzen ein paar Autominuten vom Shop entfernt in der Nähe des Clone-Office an einer Gracht in der Sonne. Das idyllische Wohnviertel wirkt noch etwas idyllischer, das Gras an der Gracht leuchtet grün. Und Serge erzählt: “Wir haben in den frühen Neunzigern begonnen unsere Sache zu starten und alles, was dann kam, war schlichtweg notwendig, um zu ermöglichen, das wir weiterhin das tun konnten, was wir wollten. Du fängst an dir etwas aufzubauen und merkst plötzlich, wie es zu wachsen beginnt. Du machst Promotion, pflegst die Kontakte zu Künstlern, versuchst mit neuen Künstlern zu arbeiten. Dabei war mir immer wichtig, das Clone langsam wächst, damit alles Zeit hat sich zu entwickeln und wir von niemanden abhängig sind. Sonst wären wir vielleicht fünfmal so schnell gewachsen. Wir wollen einfach die Musik herausbringen, die wir mögen, und wir wollen die Möglichkeit haben, sie zu verkaufen. Das ist die Hauptsache.”

Und während Clone mit angezogener Handbremse stetig wächst, scheint Serge diese Langsamkeit auch auf die musikalische Seite des Labels übertragen zu wollen. Denn während hierzulande Minimal, Techouse und Neo-Acid den Ton angeben und sowohl Tanzflächen als auch die Wahrnehmung der elektronischen Musik dominieren, lässt man in Rotterdam die Finger von solch schnelllebigen Entwicklungen, ohne sich komplett gegen Veränderungen zu stellen: “Wir haben auch Elektro-Sachen gemacht, während alle gerade voll auf Techno gesetzt haben, was uns zu dem Zeitpunkt aber einfach gelangweilt hat. Wobei ich zurzeit bei Elektro das Gefühl habe, dass das nicht so fresh ist, die meisten Sachen hat man einfach schon mal gehört. Eine Menge Disco-Zeug interessiert mich im Moment mehr. Aber letztlich bringe ich raus, was ich mag, mal Techno, mal Elektro, was weiß ich – eine stilistische Einordnung spielt da generell keine große Rolle. Im Moment mache ich nicht so viel Techno, aber wenn mir was Gutes begegnet, bringe ich es raus, keine Frage. Ich gebe nicht so viel auf diese Stilbezeichnungen, ich glaube, das ist eher die Sache der Journalisten. Was zählt, ist die Musik.“

Bodenständigkeit oder einfach die richtige Dosis Besessenheit gepaart mit der nötigen Gründlichkeit? Serge steht jedenfalls mit seiner von ihm als “no nonsense“ betitelten Mentalität nicht alleine da in Rotterdam. Die anderen Clone-Künstler sehen das ähnlich, doch dazu später mehr. Vielleicht liegt es auch an der fehlenden Club-Kultur im Vergleich zu Amsterdam: “Natürlich ist es hier anders als in Amsterdam, das ist schließlich gut dreimal so groß wie Rotterdam, daher ist das Nachtleben hier viel kleiner. Liegt vielleicht auch daran, dass die Leute in Rotterdam nicht so cluborientiert sind. Es gibt hier nicht so eine große Ausgeh-Szene, die Leute beschäftigen sich mehr mit der Musik an sich und daraus bilden sich dann die Netzwerke hier.“ Was durchschimmert, ist Serges Sicht von Rotterdam als proletarische Arbeiterstadt, worauf er auch die Popularität von Disco seinerzeit zurückführt: “Disco war schon immer eine große Sache in Rotterdam und Den Haag und Umgebung. Es war immer eine Art Musik der Arbeiterklasse. Die New-Wave-mäßigen, darkeren und tanzbareren Sachen waren eher intellektuell ausgerichtet. Und daher waren diese Richtungen dann auch in Amsterdam stärker ausgeprägt als hier, da gab es mehr alternative Disco-Clubs. Hier wollten die Leute, die unter der Woche hart gearbeitet hatten, einfach nur tanzen, denen waren die intellektuellen Geschichten ziemlich egal.” Und vor diesem Hintergrund – und hier schließt sich der Kreis vorerst – sieht Serge auch die nach wie vor starke Orientierung am Mythos Detroit: “Techno war in Detroit am Anfang auch eher die von der Arbeiterklasse inspirierte Musik und daher hatte sie auch diese gewisse ‘No-Nonsense’-Haltung.“ Mir sträuben sich bei dem Begriff konservativ immer die Nackenhaare, aber vielleicht ist es gerade dieses Bewahren-Wollen, was das Clone-Netzwerk ausmacht. Wenn man es als Mittel zur musikalischen Qualitätskontrolle, mit dem Ziel Zeitlosigkeit zu erschaffen, begreift. Ein entschleunigendes Korrektiv als Werkzeug gegen stilistische Überhitzung durch zu schnelles Wachstum quasi. Rotterdam, Insel der Bodenständigen? Vielleicht. Innovations- und humorlos? Auf keinen Fall.

Alden Tyrell

Serge ist mittlerweile wieder im Office, neben mir an der Gracht sitzt jetzt Alden Tyrell, lebhaft umwuselt von seinen beiden kleinen Hunden, wie der ruhende Fels in der Brandung. Alden ist eher ein zurückhaltender Typ, der die Dinge ernst nimmt und lieber zweimal überlegt, bevor er etwas aus der Hand gibt. Und so kommt es, dass Serge ihm schon mal einen Track fast aus der Hand reißen muss, um ihn zu veröffentlichen: “Vielleicht ist das mein Problem, was ich mit dem Produzieren am Computer habe. Du kannst an allem so lange arbeiten, wie du willst, alles immer wieder ändern, und kommst dann einfach zu keinem Ende. Das war anders, als ich nur mit ein paar Drummachines und Synthies gearbeitet habe. Ist ein Track dann aber erst mal releast, dann denke ich, das könnte auch jemand anderes gemacht haben und bin dann doch zufrieden.” Kaum zu glauben, dass hinter der gekonnten Verschmelzung aus Italo, Elektro-Darkness und Techno, aus denen Tyrell seine dichten Tracks aufbaut, ein so zurückhaltendes Naturell steckt. Bratzige Arpeggio-Lines und ironisch drapierter Disco-Hedonismus hätten auch auf anderes schließen lassen können.

Ursprünglich aus der Umgebung von Rotterdam stammend, ist Alden Tyrell fest mit Clone verwachsen und wohnt mittlerweile um die Ecke, nur die Holland-typischen zehn Minuten vom Clone-Büro entfernt. Nachdem er seinen ersten Synthie noch auf dem Gepäckträger seines Fahrrads nach Hause transportiert hatte, begann ihn die elektronische Musik in ihren Bann zu ziehen: “Ich interessierte mich am Anfang für HipHop und war gerade nach dem Kunststudium in Amerika wieder nach Holland zurückgekehrt. Und dann hörte ich das erste Album von Autechre. Das fand ich spannend und fing an Musik zu machen, allerdings eher für mich als für andere. Ja, und dann zeigte ein Freund von mir Serge meine Tracks. Ich kannte ihn zwar, wäre aber viel zu schüchtern gewesen, um ihn zu fragen. Das waren eher so abstrakte Elektro-Sachen, da ich damals viel mit EOG von DUB Recordings zusammen gemacht habe. Aber damals hörte ich selbst schon eher tanzbare Musik anstatt dieses Artifical-Intelligence-Zeug. Und irgendwann habe ich begriffen: Hey, da sind noch mehr Jungs hinter Italo her. Und dann fing ich wieder an, die Platten zu hören, die ich gekauft hatte, als ich jung war. Und machte dann ein paar Tracks aus Spaß, und einer davon war “Love Explosion”. Bis dahin hatte ich ganz vergessen, wie sehr ich Italo mochte. Da habe ich bitter bereut, dass ich viele meiner Italo-Platten verkauft habe (lacht).”

Schließlich begann er im Clone-Laden zu arbeiten, kümmert sich mittlerweile aber hauptsächlich um das Mastering. Vielleicht ein Weg, den eigenen Perfektionismus auszutricksen, indem man mit den Werken anderer arbeitet? “Manchmal ist das einfacher, aber manchmal bin ich auch da zu perfektionistisch, weil ich mir einfach unsicher bin, ob alles schon perfekt ist. Ich könnte ja auch die Stücke eines anderen total versauen, davor hab ich manchmal Schiss. Aber so richtige Beschwerden hatte ich noch nie.” Musikalisch will Alden allerdings am liebsten neue Wege gehen: “Das Ganze würde ich gerne einen Schritt weiter denken. Ich bin einfach besessen von Arpeggios. Und ich mag solche Sachen immer noch, aber wenn ich es mache, fängt es an mich zu langweilen. Deswegen mag ich I-F oder Legowelt so sehr, weil sie abwechslungsreich sind und nicht immer wieder den gleichen Groove verwenden. Ich will mich einfach nicht wiederholen.” Eine Neuorientierung im Hort der Beständigkeit, die mit der ihm eigenen fast hyperkritischen Sorgfalt, der Cloneschen Bodenhaftung und Serges im richtigen Moment zupackendem Wesen sicherlich zu einigen fruchtbaren Ergebnissen führen wird.

Duplex

Während Corine, unsere Fotografin aus Amsterdam, mit ihrer Hasselblatt gerade Alden Tyrell und Serge beim Radeln verewigt, sitze ich wieder an der Gracht, diesmal mit einem weiteren wichtigen Teil des Clone-Konglomerats: Duplex. Das Duo besteht aus John Matze und Chris Callahan und hat in den letzten Jahren schon einige Clone-Releases fabriziert, in denen der technoide Brückenschlag Holland-Detroit alles andere als subtil mitschwingt. Crisp treibende Beats, weite Hallräume, warme Bässe und tieftraurige Chords, die Hi-Tek-Vertonung der Rotterdamschen Melancholie. Nach mittlerweile gut zehn 12″s steht nun ihr erstes Album an. Hinter die versierte Detroit-Hommage packen die beiden eine gehörige Portion verschmitzen Enthusiasmus, in einer Verdrehung des ollen Sven-Väth-Mottos könnte man sagen: Ernst, mit Spaß betrieben. Auch sie wohnen direkt um die Ecke, nicht weit von der Clone-Basis entfernt, und verstrickten sich über das Plattenkaufen in das Clone-Geflecht. Chris: “Wir leben beide schon immer hier und kauften unsere Platten bei Clone. Wir waren wahrscheinlich mit die ersten Kunden dort. So haben wir uns mit Serge angefreundet. Und dann suchte er nach Musikern und wir waren welche … so lief das.” John: “Clone ist einfach ein Club von gleichgesinnten Enthusiasten. Wie in Detroit, eine Art Familie. Jeder macht seinen eigenen Style, aber die Verbindung zwischen allen ist schon sehr stark, wir sind einfach Freunde.”

Zusammenhalt durch Enthusiasmus-Sharing, Clone zeigt sich ein um das andere Mal als engmaschiges Netz, das die Rotterdam-Hood durchzieht. Irgendwo anders leben? Kommt nicht in Frage. Trotz großer Wertschätzung für die Amsterdam-Posse um Aroy Dee, New World Aquarium, Aardvarck und New Religion stehen sie Amsterdam tendenziell eher skeptisch gegenüber. John: “Wir mögen Rotterdam. Es war zwar immer der Underdog in Holland, verglichen mit Amsterdam. Ich mag aber einfach die Einstellung der Leute dort nicht so sehr. Das ist mir zu modisch, zu hipstermäßig. Alle möglichen Leute, die vielleicht Clubkultur mögen, die sich aber nicht für die Musik interessieren.” Chris und John halten es da genau umgekehrt: Die Clubkultur ist ein semiinteressantes Nice-to-Have, die Musik das Must. Oder macht man einfach aus der Not eine Tugend, der Gang ins Studio lässt einen das karge Nachtleben Rotterdams vergessen, wo mittlerweile die Gabba-Clubs wieder zu sprießen beginnen? Chris: “Rotterdam war irgendwie schon immer eher eine Techno-orientierte Stadt. Mit Gabba und allem Drum und Dran.” John: “Wir sind allerdings sowieso nicht so die wirklichen Partymonster. Und wir sind etwas gelangweilt vom Clubben. Immer das gleiche Dummdigedummdigedumm (lacht).” Chris: “Und man wird einfach älter (beide lachen).”

Dabei besitzen Duplex als DPX ein Alter Ego, unter dem sie für die Clone-X-Test-Serie darke, bitterbös funkende Clubtracks droppen, die ihr Zuhause eindeutig auf dem Floor und nicht auf dem heimischen Plattenspieler haben. So schafft man sich Freiräume, wenn die Duplex-Fangemeinde einem auf den Pelz zu rücken droht. John: “Die Leute haben halt bestimmte Erwartungen an den Namen Duplex, deswegen möchten wir unsere Tracks als DPX klar davon unterscheiden. Daher ein anderer Name für diese Richtung, wobei man von DPX ja durchaus auf Duplex schließen kann.”

Nach dem Interview schlendern wir zurück zum Clone-Office, die Sonne ist mittlerweile untergegangen. Dort sind bereits die anderen eingetroffen und Serge sitzt mit halbleerem Pizzakarton vor dem Mac und freut sich diebisch. Er guckt die holländische Big-Brother-Show via Stream im Netz. Wohl kaum, um ein fehlendes soziales Umfeld zu kompensieren. Nein, seine Freude hat einen anderen Grund: Einer der Bewohner trägt einen Clone-Pulli. Gerade erschien auf Clone eine EP mit Instrumentals und Remixen von einem Stück der Elektonika-HipHop-Truppe Watskeburt. Diese mischt zur Zeit in den holländischen Charts ganz vorne mit – steht bald der Brückenschlag aus dem Spezialisten-Underground zum Mainstream an? Wer weiß. Das Netzwerk wächst jedenfalls weiter, so viel ist sicher.

Dieser Artikel erschien im Magazin DE:BUG.

 


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